Offene Schule Waldau

„Langsam und leise, friedlich und freundlich“

Veranstaltung der GEW mit Vertretern der Offenen Schule Waldau - Kassel

„Die Offene Schule Waldau in Kassel beweist, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft und Begabung auf der einen Seite wie Leistung auf der anderen sich unter einem Schuldach nicht ausschließen“, schreibt Harald Dösel, Kreisvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in einer Pressemitteilung. Die GEW hatte jüngst die Schulleiterin dieser integrierten Gesamt- und Ganztagsschule, Barbara Buchfeld, und den Lehrer Erich Frohnapfel zu Gast.

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von links: Lehrer Erich Frohnapfel, Schulleiterin Barbara Buchfeld und GEW-Kreisvorsitzender Harald Dösel

Vor 35 Zuhörern, die viele Fragen stellten, machten die beiden Pädagogen eingangs ihren Leitgedanken deutlich: „Wie ermöglichen wir Leistung? Wie können wir sie absichern?“ Von den Kindern, die die Schule in die fünfte Klasse aufnimmt, haben nur je 25 Prozent eine Gymnasial- bzw. Realschulempfehlung. Am Ende der zehnten Klasse erreichen alle einen Schulabschluss, und 70 Prozent davon den Übergang in eine elfte Klasse der umliegenden Schulen. Von den Schülern mit Migrationshintergrund sind mehr als 60 Prozent dabei, informierte Barbara Buchfeld. Besonders die Fähigkeit, das Erarbeitete gut präsentieren zu können, helfe den Schülern, an den weiterführenden Schulen gut zu bestehen, ergänzte Erich Frohnapfel. Er hält als Oberstufenkoordinator die Verbindung zu diesen Schülern.

„Warum melden Professoren sowie leitende Angestellte ihre Kinder in der Offenen Schule Waldau an, die in einem Problemviertel, einer Plattenbausiedlung mit vielen Sozialfällen und 50 Prozent Migrantenanteil, liegt? Weshalb ist es bei uns so leise?“, fragte Frau Buchfeld in die aufmerksame Runde. Zur Unterstreichung der Frage fügte ihr Kollege hinzu: „ Noch vor dreißig Jahren mussten wir uns durch pöbelnde Schülertrauben zum Klassenzimmer durcharbeiten.“

Um aus dem Chaosbetrieb mit 1400 Schülern herauszukommen, musste die Schule sich etwas einfallen lassen. Eine Planungsgruppe erarbeitete anhand von Beispielen aus dem angelsächsischen Raum und des Leitmotivs der „Wiederherstellung der pädagogischen Vernunft“ ein Schulkonzept, das von der damaligen hessischen Landesregierung abgesegnet wurde. „Mehr als dreißig in einem Jahrgang unterrichtende Lehrer, das konnte nur dazu führen, dass Schränke eingetreten wurden“, machte Frohnapfel deutlich.

Seit 1983 ist die Gesamtschule eine offene Schule. Sie kooperiert mit der Universität Kassel und lernt von anderen Schulen. Die Schüler der rhythmisierten Ganztagsschule können zwischen 7.30 und 8.45.Uhr in der Schule ankommen, die weder Klingel noch Gong besitzt. Langsam stellen sie sich auf den folgenden Unterricht ein. In dieser Zeit werden auch Förderprogramme angeboten. In der Mittagspause von 12.15 bis 13.15 Uhr gibt es neben einem gesunden und gemeinsamen Mittagessen etliche Freizeitangebote. Der Pflichtunterricht endet um 14.35 Uhr; danach können die Schüler kulturelle, sportliche wie handwerkliche Zusatzangebote annehmen.

„Wichtig war es, die Zahl der in einem Jahrgang unterrichtenden Lehrer erheblich zu reduzieren. Schüler und Lehrer müssen einander kennen, damit eine friedliche und freundliche Atmosphäre herrscht“, erklärte die Direktorin. So wurde je Jahrgang ein Team aus Schülern und Lehrern gebildet: In der Regel betreuen 13 Lehrer einen Jahrgang, der aus ca. 150 Schülern und sechs Klassen besteht. Schüler und Lehrer bleiben durchgängig von der 5. Jahrgangsstufe bis zur Entlassklasse zusammen. Dabei sind eine Lehrerin und ein Lehrer als Klassenlehrer für eine Klasse besonders verantwortlich. Soweit als möglich regelt jeder Jahrgang seine pädagogischen und organisatorischen Aufgaben selbstständig. Buchfeld: „Diese Jahrgangsstruktur schafft für alle Beteiligten Überschaubarkeit und Verbindlichkeit.“

Ein wesentlicher Bestandteil dieser Überschaubarkeit und Verbindlichkeit ist die veränderte architektonische Struktur der Offenen Schule Waldau. Um eine Sozialfläche für die Kommunikation untereinander gruppieren sich die sechs Klassenzimmer eines Jahrgangs und das dem Jahrgang zugeordnete Lehrerzimmer. So ist es verständlich, dass Regeln und Vereinbarungen leichter eingehalten werden als in Schulen mit einem riesigen Lehrerzimmer, und in denen Lehrer in mehreren Jahrgängen unterrichten.

Neben ausführlichen Erziehungsvereinbarungen zwischen Schule und Eltern wie klaren Vereinbarungen in einer Jahrgangsstufe enthält die Schulordnung nur die vier Adjektive „langsam, leise, friedlich, freundlich“, die, so Lehrer Frohnapfel, fast immer praktiziert werden. „Ist man in einer anderen Schule, in der der normale Geräuschpegel herrscht, kommt einem das schon laut vor“, bemerkte er lachend, und auf die Frage, wie lange denn die Umstellung für die Schüler 1983 gedauert habe, lautete seine verblüffende Antwort: „Einen Tag!“ Er fügte hinzu: „Kollegen, die damals gegen die Umstellung waren, sind jetzt die größten Befürworter unseres Schulkonzepts. Wir haben eine hohe Berufszufriedenheit und entsprechend eine große Identifikation der Kinder mit ihrer Schule.“

Verbindliches freies Lernen, das von Beginn an eingeübt wird, Formen kooperativen Lernens, eine entwickelte Präsentations- und Feedbackkultur ergänzen die Gelingensbedingungen für Leistung. Förderkonzepte im fünften und sechsten Jahrgang, der Leistungsfähigkeit des Einzelnen angepasste Aufgabenstellungen, in Einzelfällen Assistenz für abschlussgefährdete Schüler, Projektprüfungen, Mathematikwettbewerbe und Lerntagebücher dienen der Leistungsabsicherung.

„Es ist schade, dass unsere Schule Jahr für Jahr 80 Schüler mit Einsen und Zweien im Grundschulzeugnis ablehnen muss“, bedauert Barbara Buchfeld. Die Schule integriert auch Kinder mit Behinderungen in die Regelklassen. In der Erziehungsvereinbarung steht daher unter anderem, dass die Eltern einen gemeinsamen Unterricht ihrer Kinder mit den behinderten Kindern akzeptieren. Die vom Hessischen Kultusministerium zertifizierte Schule zur Förderung von Hochbegabten legt außerdem besonderen Wert auf die Förderung überdurchschnittlich begabter Kinder innerhalb des Klassenverbandes.

Für ihre pädagogisch herausragenden Leistungen erhielt die Offene Schule Waldau schon mehrere Auszeichnungen auf Landes- und Bundesebene. Für die GEW habe sich wieder mal bestätigt, so Vorstandsmitglied Harald Morawietz, dass man Schule konzipieren und realisieren kann, in der nicht der Geldbeutel der Eltern und auch nicht die Herkunft über den Bildungserfolg entscheiden.

Weitere Informationen zur OSW: http://www.osw-online.de/